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Die Einigung auf das Urlaubsziel ging so schnell wie schon lange nicht mehr: Frankreich, das Land von Rotwein und savoir vivre, großartiger Natur und Tour de France, wo man mit den in Montreal erworbenen Québécois-Kenntnissen obendrein ganz gut durchkommen sollte. Mechthild und Michael überlegen hin und her, wälzen Karten, durchpflügen das Internet und lassen sich von
ihren Montrealer, aus Frankreich stammenden Nachbarn Vanessa und Jean-Yves viele gute Tipps geben, dann schlagen sie mit einem Plan bei ihren Kindern auf: Zwei Wochen Pyrenäen, wo Frankreich am wildesten ist, noch Braunbären durchs
Gebirge streifen, Gänsegeier über den Gipfeln kreisen und man mit dem Rennrad viele klassische Tour de France Pässe hoch und runterfahren kann. Mittendrin, in Bagnères-de-Luchon, hätten sie auch schon eine schöne Ferienwohnung
entdeckt. „Ihr mit eurer ewigen Rennradfahrerei“, meint Franziska kopfschüttelnd, freundet sich dann aber schnell mit den Pyrenäen an. Eigentlich klingt alles ja ganz schön, und wenn die Eltern gut beschäftigt sind, ist das
bestimmt auch für die Kinder ganz vorteilhaft. „Aber weit weg liegt’s schon“, meint sie schließlich. „Ja“, sagt Mechthild, „deswegen wollten wir auch Zelte und Campingausrüstung mit einpacken. Wir nehmen uns dann für den Hin-
und Rückweg je eine Woche Zeit und zelten dabei hier und da, wo Frankreich gerade besonders schön ist.“ Kein schlechter Plan, finden die Kinder, und so machen sich Mechthild und Michael daran, die Ziele für die Hin-
und Rückreise auszusuchen. Schließlich steht folgendes Programm: Über einen Besuch bei Inga und Willi in Solothurn in der Schweiz soll es für ein paar Tage in die Provence gehen nach Gréoux-les-Bains am Verdon-Fluss, danach für
zwei Tage nach Carcassonne und von dort aus über einen Besuch im Airbus-Werk in Toulouse in die Pyrenäen nach Luchon. Für die Rückreise werden noch ein paar Tage am Atlantik auf der Île de Ré und ein kurzer Aufenthalt in Orléans
eingeplant. |
Bei der Ankunft am Zeltplatz in Gréoux-les-Bains stellt sich heraus, dass der Zeltplatz zwar ganz prima gebucht ist, eine zentrale Frage aber bislang völlig außen vor blieb: Wer darf, bzw. muss mit wem in ein Zelt? „Ein Kinder- und ein Elternzelt wäre eine schöne Sach…“, setzt Michael an, kommt aber gar nicht erst dazu, seinen Satz zu beenden, denn mit einem
knackigen „Nie im Leben! Ich gehe doch nicht mit meinem kleinen Bruder in ein Zelt!“, unterbricht ihn Franziska. Und dann legen alle Kinder gleichzeitig los, wer aus welchen Gründen eine Zumutung im Zelt ist. Dass Mama schnarcht,
Papa immer poltert, wenn er nach einem abendlichen Rotwein ins Zelt stolpert, Katharina zickt, Felix gemein ist, Franziska immer in den Waschräumen versumpft, die jeweils anderen überhaupt blöd sind, und und und … Aber irgendwie
muss man sich ja einigen, und so versuchen es schließlich Katharina, Felix und Michael im großen Zelt – aber nur, wenn Katharina und Felix nicht nebeneinander liegen müssen und Michael, dem dann der Platz in der Mitte bleibt, nicht
immer alle weckt, wenn er nach dem Rotwein … ja, ja, alte Geschichte – sowie Franziska und Mechthild im kleinen Zelt. Am nächsten Morgen reibt sich Michael verwundert die Augen: Kein nächtlicher Mord- und Totschlag, alle sind
miteinander klar gekommen. Dann kann der Urlaub ja unbeschwert weitergehen, zumal auch die Matratze unter dem Aufklappdach des Bullis sowie – je nach Aufspannmöglichkeit und Wetter – die Hängematte für Entlastung in den Zelten
sorgen. Das Programm in Gréoux-les-Bains ist vielfältig. Während die Kinder in seltener Einigkeit erstmal einen chilligen Tag am Pool hinlegen müssen, machen sich Mechthild und Michael auf, mit ihren Fahrrädern die
Randstraße der Gorges du Verdun hochzufahren. Mit ein paar hundert Höhenmetern ist die schon ein ganz gutes Training für die in den kommenden Wochen anstehenden Pyrenäenpässe, und überhaupt ist Fahrradfahren mal wieder verstärkt
angesagt, denn Michael hat sich im Frühsommer ein Cyclo-cross Rad gebaut (für die nicht Fahrrad-Verrückten: ein geländetaugliches Rennrad), aus Holz, wie immer, und Woodstock hat er es genannt. Nach zwei weiteren Tagen in
Gréoux-les-Bains – ein Badetag am Lac de Sainte-Croix und ein Wandertag unten in der Schlucht – dann die nächste Etappe: Carcassonne. |
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Zur Refuge de Vénasque soll es gehen, die sich vom Parkplatz am Hospice de France aus für eine zweitägige Rundwanderung mit rund tausend Höhenmetern anbietet. Das
sollte passen, weil nicht zu kurz und nicht zu lang, und da der Wetterbericht trockenes Wetter ansagt und auf der Hütte noch Plätze frei sind, kann’s losgehen. Als richtig doll erweist sich der Wetterbericht aber nicht, oder – wer
weiß – vielleicht war Michaels Übersetzung des Wetterberichts, der sich bei sprachlich schwierigeren Passagen gerne von seiner sonnigen Erwartungshaltung an das Wetter leiten lässt, nicht der wahre Jakob, auf jeden Fall setzt nach
einem Viertel des Anstiegs plötzlich kräftiger Regen ein. Wie gut, dass der Abstieg zum Café im Hospice de France noch nicht gar zu lang ist, da ist es warm und die heiße Schokolade schmeckt; das Unwetter lässt sich dort angenehm
aussitzen. Der zweite Aufstiegsversuch klappt dann aber, d.h., genaugenommen klappt er grad man so, denn kaum an der Hütte angekommen, prasselt ein gewaltiger Hagelschauer vom Himmel. Die Hütte präsentiert sich übrigens anders als
erwartet. Irgendwie ist alles weniger groß, modern und warm als vorhergesagt. Der dunkle Schlafraum mit dem Charme eines Bunkers bietet Matratzenlager für zwölf Personen, ein fensterloses Bierzelt dient als „Speisesaal“, und dann
sind da noch an sanitären Anlagen für alle Gäste ein einzelnes Waschbecken mit frischem Bergseewasser und eine Art Dixi-Klo, aber immerhin eines mit Seewasser-Spülung.
„Wusstest du, dass das hier so ist?“, fragt Katharina, während sie sich im zugigen Bierzelt in Mechthilds Schoß kuschelt. „Nee, echt nicht“, antwortet die, „ist doch rustikaler als ich dachte.“ Zumal die Hütte –
übrigens die kleinste Pyrenäenhütte auf französischer Seite, wie die Pächter Emma und Guilhem erklären – auch keine Speisekarte kennt. Man isst, was auf den Tisch kommt, aber das ist dann richtig lecker: Vier Gänge – Erbsensuppe,
Lasagne, Käse und als Nachtisch Birnenkuchen. Insbesondere der Birnenkuchen ist sooo lecker, dass sich Katharina und Michael das Rezept von Emma noch aufschreiben lassen, dann schließen ein paar Runden Uno den Tag ab. |
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Mitten in der Nacht wird‘s für Felix plötzlich spannend, denn einfache Sachen können auf einer Berghütte unerwartet kompliziert werden. „Mama, ich muss mal“, meldet er sich im Stockfinsteren. |
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„Mmmmh“, brummt Mechthild, die neben ihm versucht zu schlafen. |
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„Ich sehe aber Nichts.“ |
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„Mmmmh.“ |
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„Ich hasse es, wenn ich gar nichts sehen kann.“ |
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„Mmmmh.“ |
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„Guck du doch mal, wo meine Taschenlampe ist.“ |
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„Mmmmh.“ |
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„Du Mama?“ |
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„Mmmmh.“ |
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„Jetzt sag doch mal: Sind da draußen Braunbären? ... |
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... Ich will im Stockdunkeln aber keinem Braunbären begegnen.“ |
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„Mmmmh“, brummt Mechthild noch einmal, tastet dann im Halbschlaf ihr Kopfende ab und reicht Felix schließlich ihre Taschenlampe. Noch mal alles gut gegangen. |
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Am nächsten Morgen dann bestes Wetter, der Himmel ist strahlend blau. Die letzten Braunbären der Pyrenäen haben sich in der Nacht nicht blicken gelassen, lediglich die allgegenwärtigen Gänsegeier kreisen im Aufwind, aber die sind ja, jedenfalls solange man noch lebt, ungefährlich. Zeit für den Rückweg. Am auf der Grenze zu Spanien liegenden Pass Port de Vénasque öffnet sich der Blick auf den Pico Aneto, den mit 3404 m höchsten Gipfel der Pyrenäen. Der weitere Weg führt dann über die Grenze nach Spanien über den Port dera Picada, und den Pic de la Mounjoye wieder ins Tal, wo es schließlich durch liebliche Blumenwiesen zurück zum Hospice de France geht. |
Die verbleibenden Tage vergehen schnell mit kürzeren Wanderungen, schwimmen gehen, Fahrradfahren und Wochenmärkten. Und auf der Rückfahrt steht mit vier Tagen Strandurlaub auf der Île de Ré noch ein vor allem von den Kindern heiß ersehntes Ziel an. Sonne, Wind und Meer, dazu mit dem Hauptort Saint-Martin-de-Ré ein Städtchen der besonders romantischen Art: Im von mächtigen Festungsmauern geschützten Stadtkern scheint – wenn man mal vom Touristenrummel großzügig absieht – seit seiner Erbauung im 17. Jahrhundert die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Straßen sind Kopfstein gepflastert, die aus Naturstein gemauerten, zum Teil auch weiß gekalkten Häuser liebevoll in Schuss gehalten, und an allen Ecken sorgen Stockrosen für Farbtupfer.
„Und, war er gut der Urlaub?“, fragt Mechthild, als sie nach der letzten Etappe in Orléans den Bulli Richtung Rheinbach lenkt. „Jo, Frankreich ist gut“, sagt Michael.
„Aber nächstes Mal sollten wir ein Ziel mit ´ner Kletterhalle nehmen“, meint Franziska. „Und mehr an den Strand“, werfen Felix und Katharina ein.
„Vergesst nicht, dass Papa und ich noch den Col d’Aubisque und den Col du Soulor machen müssen“, sagt Mechthild. |
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