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So verschieden die Pässe sind, so ähnlich sind die Tagesabläufe. Zuerst mal schläft es sich im Zelt tief und fest, dafür sorgen die Strapazen des Vortags und
der Rotwein am Vorabend von alleine. Dann holt Michael zwei Baguettes – bien cuites, bitte schön kross – an der Rezeption, eins fürs Frühstück und eins für unterwegs, und die Spannung steigt, weil’s bald losgeht. Noch
ein paar Sachen packen und die Trinkflaschen auffüllen, dann versichern sich Mechthild und Michael gegenseitig, dass sie es heute besonders ruhig angehen lassen wollen, weil sie nach den letzten Tagen nicht so dolle
drauf sind, und es geht los. Und zwar – von wegen besonders ruhig – gerne von Anfang an schnell, was der Anstieg halt so zulässt, denn wenn man einmal im Sattel sitzt, gelten die guten Vorsätze von gerade eben nicht
mehr viel. Alpenpässe wollen bekämpft und bezwungen werden, in Ruhe hochfahren ist da nicht. Unterwegs, wenn man nicht mehr kann, was bei der sommerlicher Hitze und ihrer sehr speziellen Taktik des
Immer-drauf-losfahrens auch kein Wunder ist, machen Mechthild und Michael ein bis zwei Päuschen, dann kommen sie oben am Pass an. Und da ist es immer schön. Erst fragt man die anderen jecken Rennradfahrer, ob nicht wer
das obligatorische Gipfelfoto von Mechthild, Michael und ihren Holzrädchen schießen mag. Dann guckt man sich ein bisschen um, genießt die Aussicht, bildet sich ein, man sei ein Held, und unterhält sich noch ein bisschen
mit den andern jecken Helden der Alpenpässe. Und natürlich freut man sich schon auf die Schussfahrt zurück ins Tal. Die ist übrigens in steter Regelmäßigkeit nicht so heldenhaft.
Auf den sehr steilen und ihnen unbekannten Abfahrten setzt sich bei Mechthild und Michael nicht das Radfahrer-Gen des bergab Bretterns, sondern das Eltern-Gen des schön vorsichtigen Fahrens durch. Schnell fahren tun sie
zwar sehr gerne, aber aus dem Urlaub heil wieder anzukommen um mit den Kindern Urlaubserlebnisse auszutauschen ist auch ganz schön. Halt nicht so heldenhaft. „Hoffentlich kriegt das keiner meiner Rennradfreunde aus
Rheinbach mit“, meint Mechthild als der Tacho nach der Abfahrt vom Col du Galibier schlappe 51,8 km/h Höchstgeschwindigkeit anzeigt. „Das ist ja langsamer als bei jeder kurzen Ausfahrt in die Eifel.“ |