Felix baut sich ein Longboard

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„Ich muss mir unbedingt ein Longboard kaufen, gleich morgen früh“, platzt es aus Felix heraus, als er freitagabends von seinem Kumpel Daniel nach Hause kommt. „Ein Longboard?“, fragt Mechthild. „Ja“, lautet die Antwort, „das Dervish Sama von Loaded. Nur 300 Euro beim Titus Skateboard Shop in Bonn, wir haben alles abgecheckt. Sag‘ mal, Mama, hat denn morgen früh die Sparkasse auf?“

Mechthild und Michael verdrehen die Augen. Kuriose Ideen, oft auch richtig lustige, sind sie ja von Felix gewohnt, aber diese hier scheint ihnen doch gewagt teuer zu sein. Doch was will man machen? Mechthild und Michael versuchen es mit der „Logik“ von Erwachsenen: Dass man so viel Geld nicht für einen spontanen Einfall ausgibt, man immer in Ruhe Preise vergleicht und Alternativen prüft und dergleichen mehr. Aber Erwachsenen-Logik versagt, wenn es um elementare Bedürfnisse von Teenagern geht. Weil es nämlich aber auch so was von peinlich ist, dass Felix noch immer kein Longboard hat. Jetzt guckt er schon so lange den Videoblog der Longboard-Deutschlandtour seiner Lieblings-YouTuber Cheng, Julien, Dner und Unge und kennt sich deswegen mit Longboards auch richtig, richtig gut aus. Gaaanz dringend braucht er jetzt selbst eins, am besten heute, allerspätestens morgen.

Nach einer längeren, für Mechthilds und Michaels Geschmack auch lauteren Diskussion – letzteres sieht Felix aber nicht so, weil er da nicht so empfindlich ist wie seine Eltern – hat Mechthild die zündende Idee. „Bau dir doch mit Papa selbst eins und lass es dir dann von uns zu Weihnachten schenken“, schlägt sie vor. Während Felix sich mit diesem Gedanken ganz gut anfreunden kann, ist Michael noch ein bisschen skeptisch. Geduldiges Arbeiten mit, sagen wir mal, quirligen Teenagern gehört nicht zu seinen großen Stärken, da braucht er manchmal einen kleinen Anstoß. „Jetzt mach’s doch einfach“, raunt ihm Mechthild zu, „das wird klappen. Motiviert ist Felix, und mit seinen Aufgaben wachsen wird er beim Basteln auch.“ „Hm, …, ja, ja, klar, gerne“, sagt Michael und ist gespannt auf was da kommen wird.

Bevor es losgeht, müssen sich Felix und Michael aber noch gegenseitig schlau machen. Felix hat zwar sehr genaue Vorstellungen vom Longboard seiner Träume – Flex soll es haben (d.h. schön nachgiebig sein) sowie Concave (an den seitlichen Rändern höher als in der Mitte), Kicktails (aufwärts weisende Enden vorne und hinten) und drop through Axles (durch das Brett gehende, von oben verschraubte Achsblöcke) – aber wie man das im Einzelnen hinkriegt, weiß er nicht so genau. Und für Michael, der schon viel und gerne bastelt, sind all diese Longboarder-Anglizismen ein einziger Haufen böhmischer Dörfer.

Schlau gemacht wird sich im Internet bei YouTube. Hier gucken sich Felix, der später mal ein professioneller YouTuber werden will, und Michael, der das eher nicht werden will, jede Menge Videos an, in denen coole Leute mit meistens verkehrt herum aufgesetzten Baseballmützen nicht minder coole Longboards bauen. Dabei klären sich Felix und Michael wechselseitig über den Sinn, Unsinn und Coolness-Faktor der verschiedenen Longboard Bauformen und der verwendeten Werkzeuge auf. Schließlich ist Felix überzeugt. Ja, meint er, so könne er sich auch ein Longboard bauen, aber schöner bemalen würde er sein Longboard natürlich schon.

Dann kann’s ja losgehen. Bei Titus in Bonn kaufen Felix und Michael Achsblöcke, Rollen und Kugellager, und Felix fährt schon mal ein Dervish Sama zur Probe. Während Felix so auf dem Longboard seiner Träume die Ständer voller Skateboards, Kleidung und Zubehör umkurvt, nimmt sich Michael ein anderes Dervish Sama zur Hand, zückt das Maßband und vermisst das Board.

Im Internet kaufen sie Sperrholz und Griptape, eine Art selbstklebendes Sandpapier, das für sicheren Stand auf dem Board sorgt. Glasfasergewebe und Epoxidharz hat Michael noch von anderen Bastelaktionen übrig.

Dann begibt sich Felix ans Design. Denn ein cooles Longboard braucht ein eben solches Design, und zwar auf seiner Unterseite, da nur die nicht mit Griptape beklebt ist. Eine Raubkatze möchte er zeichnen. Felix schwankt noch zwischen Luchs und Puma, zeichnet dann verschiedene Entwürfe auf Papier vor und entscheidet sich schließlich für einen Pumakopf, den er auf eine der drei Lagen Sperrholz malt.

Dann geht’s dahin, wo’s immer spannend ist, in die Kellerwerkstatt. Dort entdeckt Felix seine Liebe zu Elektrowerkzeugen: Stichsäge, Tischbohrmaschine, Bohrschrauber oder Schwing- oder Bandschleifer – alles coole Werkzeuge, und es macht Spaß sie einzusetzen. Michael entdeckt sogar noch Spannenderes, nämlich wie kurzweilig und angenehm es ist mit Felix zusammenzuarbeiten, wenn es um Basteln geht und nicht um Mathe, Zimmer aufräumen oder Tisch decken. Von keiner Seite irgendein Gezicke, einfach nur arbeiten, und das richtig zielstrebig. „Ich sollte mich mit Felix nur noch in der Werkstatt treffen“, denkt er sich, als ihn Felix nach eigentlich getaner Arbeit mal wieder nach oben schickt, um alleine noch in Ruhe die Schnittkanten zu feilen und zu schleifen und die Späne aufzufegen.

Als Erstes bauen Felix und Michael aus Leimholzresten die Presse. Ein ganz entscheidender Arbeitsschritt ist das, denn allein die Geometrie der Presse bestimmt die Wölbung des Boards in Längs- und Querrichtung. Letztlich kann man sich die Presse als zwei Stempel vorstellen, deren Oberflächen den gewünschten Wölbungen des Longboards entsprechen und die mit Schraubzwingen gegeneinandergepresst werden. Wenn mehrere dünne Holzlagen in der Presse miteinander verleimt werden, dann behalten sie auch nach dem Lösen der Schraubzwingen die ihnen aufgezwungene Wölbung bei.

Die mit der Stichsäge auf gut 2 cm Übermaß zu allen Seiten grob zugeschnittenen drei Lagen Sperrholz werden satt mit Holzleim bestrichen und unter dem kräftigen Druck aller verfügbarer Schraubzwingen in der Presse verleimt. Eine Nacht braucht der Leim zum Abbinden, dann kann Felix die Sperrholzbretter der Presse entnehmen, und tatsächlich, die drei zuvor dünnen und wabbeligen Sperrhölzer sind zu einem festen Brett verleimt, das dank Flex, Concave und Kicktails jetzt auch schon richtig nach Longboard aussieht.

Im Anschluss daran sägt Felix das Board auf seine genauen Maße. Jetzt sieht es schon richtig gut aus, aber für die optimale Festigkeit des Boards und den Schutz seiner Zeichnung ist noch ein wichtiger Arbeitsschritt erforderlich: die Verstärkung der Ober- und Unterseite des Boards mit je einer Lage Glasfasergewebe. Hierfür legt er das Glasfasergewebe auf das Board, rührt Epoxidharz und Härter an, und verstreicht die Epoxidharzmischung auf der Glasfasermatte. Sobald das Glasfasergewebe mit dem Epoxidharz getränkt ist, wird es durchsichtig, und die schöne Holzoptik des Boards und insbesondere das Bild des Pumas kommen wieder ungetrübt zum Vorschein.

Mit dem Laminieren der Glasfaserschicht ist ein Gutteil der Arbeit auch schon bewältigt. Die Löcher für die drop-through Achsblöcke müssen noch ausgesägt werden, dann schmirgelt Felix alle Kanten schön rund, lackiert das Board mit einem schlag- und wasserfesten Bootslack, klebt das Griptape auf, montiert Achsblöcke und Rollen und hält schließlich sein fertiges Longboard in Händen.

Und jetzt? Natürlich fährt Felix sein Longboard jetzt. Aber selbstgebaute Longboards bieten mehr als bloßen Fahrspaß. Selbstgebaute Longboards hat man nämlich lieb, und deswegen fährt man sie nicht nur, sondern man putzt sie regelmäßig, schmiert die Lager und schraubt immer wieder an den verschiedenen Bauteilen herum.

Ende März, Szenenwechsel: Das Wetter erlaubt endlich längere Longboard-Touren, zum Beispiel rund um Rheinbach, nach Wormersdorf, Meckenheim, Oberdrees oder Miel. Mechthild, Michael, Franziska und Katharina sitzen am Essenstisch und warten auf Felix.

„Wo bleibt Felix denn nur?“, fragt Mechthild, „Er ist doch schon seit einer halben Stunde wieder da.“

„Der war doch gleich in den Keller runter, sein Longboard putzen“, antwortet Michael.

Mechthild atmet tief durch. „Dass Felix beim Basteln mit seinen Aufgaben wächst, hab‘ ich dir ja gleich gesagt. Aber dass er soo dermaßen über sich hinauswächst, konnte nun wirklich keiner wissen.“

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