Osterurlaub an der Nordsee

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„Komm, Papa“, sagt Felix, „lass uns Drachen steigen gehen!“ In solchen Momenten merkt Michael, dass die Welt noch sehr in Ordnung ist. Denn Felix ist 15, da redet man normal gerne in einem ganz anderen Ton mit seinen Eltern. Aber in Holland an der See ist es nicht normal, in Holland an der See ist gerade Osterurlaub und die Welt in Ordnung.

Also nichts wie warme Sachen an und raus an den Strand. Der Wind weht kräftig und hält Katharina, Felix und Michael – denn Franzi ist die Woche zum Lernen fürs Abi in Rheinbach geblieben, und Mechthild behauptet, langsam dem Drachensteige-Alter entwachsen zu sein – gut beschäftigt. Katharina und Felix wechseln sich am Drachen ab, vor allem Felix gibt Michael laufend Instruktionen, wie dieser ihn dabei fotografieren soll. Denn fotografiert zu werden ist wichtig. Seine Instagram-Seite will regelmäßig mit brauchbaren Fotos aktualisiert werden, und überhaupt, vielleicht hilft ihm eine gute Performance beim Drachensteigen ja auch ohne den Umweg über Instagram, entdeckt und fame zu werden. In Amerika zum Beispiel werden Stars gerne zufällig entdeckt, sei es in Los Angeles am Strand, bei der Arbeit als Schreiner oder beim Kellnern in einer Kneipe – Johnny Depp, Harrison Ford und Ashton Kutcher sind solche Fälle. Wieso sollte das bei ihm nicht mit Drachensteigen am Strand in Holland klappen? Aber Holland ist nicht Los Angeles, und zudem gibt’s am Strand noch mächtig Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Strandspaziergänger, denn ein paar ziemlich professionelle Kitesurfer jagen spektakulär durch die Wellen. Und schließlich will auch das Seenotrettungsboot beachtet werden, das einmal in der Woche ins Wasser gelassen wird, auf dass sich Boot und Mannschaft mit Volldampf im Meer austoben.

Nun ist Drachen steigen zu lassen nicht die einzige Möglichkeit, sich an der frischen Luft zu bewegen und dabei fotografieren zu lassen. Man kann ja auch durch die weitläufigen Dünengebiete wandern. Mechthild und Michael könnten das sogar stundenlang machen, sie finden es dort klasse, doch gleich auf der ersten Wanderung – und die dauerte bestimmt keine Stunde – wird ihnen von den Kindern klargemacht, dass die Meinungen darüber sehr geteilt sind.

Denen macht Longboarden und Inlinern mehr Spaß. Zu dritt – Felix auf einem seiner Longboards, Katharina und Michael auf Inlinern – geht die erste Tour von Egmond nach Bergen aan Zee. An Tulpen- und Narzissenfeldern vorbei führt die Strecke zunächst ins Binnenland, bevor es durch eine lichte Wald- und Dünenlandschaft zurück zur Nordsee in Bergen geht, eine richtig schöne Strecke also.

Und dann ist da noch die Sache mit Kultur im Urlaub, denn Kulturbanause zu sein möchte man sich ungern nachsagen lassen. Gut, dass man dem vorbeugen kann, zum Beispiel indem man den lieben langen Nachmittag durch eine der malerischen holländischen Städte mit ihren Grachten, historischen Backsteinhäusern und reich verzierten Hausgiebeln latscht. Von Egmond aus bieten sich Alkmaar und Hoorn an. Alkmaar, mit reichlich 100.000 Einwohnern die größte Stadt der Gegend, hat ein wundervolles von Grachten durchzogenes altes Stadtzentrum, eine Handvoll Windmühlen am Stadtrand und eine nette Fußgänger-Einkaufszone im Zentrum. Da ist für jeden was dabei, außerdem liegt Alkmaar gerade mal zehn Kilometer von Egmond entfernt, sodass es Felix und Michael leicht mit Longboard bzw. Inlinern dahin schaffen.

Auch die Hafenstadt Hoorn braucht sich vor nichts und niemandem zu verstecken. Im 16. und 17. Jahrhundert war Hoorn eine bedeutende Seefahrerstadt der Niederländischen Ostindien-Kompanie, die Benennung der Südspitze Südamerikas zeugt davon. Heute ist Hoorn ein nettes Hafenstädtchen am Markermeer, eines seit den 1970er Jahren eingedeichten Binnensees am Rande des Ijsselmeeres.

Auch Hoorn hat eine gut erhaltene sehenswerte Innenstadt. Ganz gleich, ob prachtvolle Gebäude wie der Hoofdtoren, ein Anfang des 17. Jahrhunderts erbauter mächtiger Turm zur Verteidigung der Hafeneinfahrt, oder das Staatencollege, der Sitz der seinerzeitigen Ständevertretung Westfrieslands, oder doch lieber die vielen kleinen Geschäfte in den schnuckeligen Backsteinhäusern der Fußgängerzone – alles in Hoorn ist sehr historisch, proper herausgeputzt und lädt zum Rumgucken oder Einkaufen ein.

Ihre ganz persönliche Hauptattraktion entdeckt Katharina am Hafen, direkt zwischen Bug und Ankerkette der Anna van Nieuwkoop, einem 1897 gebauten Plattbodensegelschiff, das seinerzeit Sand und Steine entlang der niederländischen Küste transportierte. „Toll, da brütet ein Haubentaucher“, sagt sie. „Du, Papa, den kann man schön bequem im Sitzen auf der Kaimauer beobachten.“ So eine Gelegenheit lassen sich Katharina und Michael nicht entgehen. Vögel beobachten mögen sie noch ein bisschen lieber als shoppen gehen. Also schicken sie Felix und Mechthild, bei denen es grad umgekehrt ist, denn die beiden gehen lieber shoppen als auf feuchten Kaimauern auf irgendwelche Vögelchen zu warten, schon mal in die Boutiquen am Hafen und machen es sich auf der Kaimauer bequem.

Und sie werden mit einer unterhaltsamen Show der Haubentaucher-Familie belohnt. In lockerer Folge werden nicht nur der brütende Altvogel, sondern auch die zwei in seinem Gefieder versteckten ganz frisch geschlüpften Jungtiere immer wieder vom anderen Altvogel gefüttert.

Das letzte Urlaubserlebnis, ein ganz besonders holländisches obendrein, hält die Rückfahrt gleich hinter dem Ortsausgang von Egmond bereit. „Ist das aber ein bunt gemischtes Tulpenfeld“, klingt es träge vom Beifahrersitz her, wo Michael, was er ausgesprochen gerne macht, ein bisschen vor sich hindöst. Mechthild ist einen kurzen Moment perplex – seit wann interessiert sich ihr Mann für Blumen? – und bremst dann scharf. „Da müssen wir hin, das ist ein Pflückfeld.“ So geht es denn zurück nach Rheinbach mit einem großen Strauß frisch gepflückter Tulpen. Als Erinnerung an Holland an der See, wo die Welt noch sehr in Ordnung ist.

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