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Felix beobachtet Adler

Man sagt ja, dass auf Cape Breton Island, der wilden Insel im Nordosten Nova Scotias, die größte Weißkopfseeadlerpopulation außerhalb Alaskas lebt. Mehrere hundert Paare nisten dort an den Küsten von Atlantik und Bras d’Or Lake, und wenn im Winter die Seen zufrieren und die Fische knapp werden, ziehen die Adler nach Süden. Mittlerweile überwintern die meisten von ihnen im Annapolis Valley, eine gute Autostunde von Halifax entfernt, wo sie von örtlichen Hühnerfarmern durch den Winter gefüttert werden.

So stehen also Felix und Michael in der Nähe von Sheffield Mills, einer aus wenigen Bauernhöfen bestehenden Siedlung im Annapolis Valley, an einem Feldrand im Schnee und warten, dass sich die Adler über die rund ein Dutzend toten Hühner hermachen, die in vielleicht 30 Meter Entfernung auf dem Feld ausgelegt sind. Felix findet Adler toll, und vertreibt sich die Zeit mit wichtigen Gedanken.

”Du, Papa, jagen Weißkopfseeadler eigentlich Geparde?”

“Ach Felix, das geht doch nicht. Weißkopfseeadler leben in Kanada, Geparde in Afrika.”

“Aber wenn die Adler nach Afrika fliegen würden, würden sie dann Geparde jagen, sagen wir mal kleine Geparde?”

“Die fliegen aber nicht nach Afrika. In Afrika ist es nämlich heiß, und Weißkopfseeadler mögen’s lieber kalt.”

“Ich finde es nicht kalt in Kanada.”

“Na ja, kälter als in Rheinbach oder Afrika ist es schon.”

“Frierst du etwa?”

“Jaaaa.”

“Sei doch kein Warmduscher.”

“Du, jetzt hör’ bitte damit auf.”

“Ich glaube”, sagt Felix, und dann macht er eine kleine Kunstpause, weil ihm, was jetzt kommt, ganz besonders wichtig ist, “ich glaube, ich bin überhaupt ein besserer Kanadier als du.”

“Mann, Felix, denk’ lieber an Geparde, das wärmt.”

“Weißt du eigentlich, wie schnell ein Gepard rennen kann?”

“So 70?”, schätzt Michael und hat dabei das dumpfe Gefühl, sich in diesen Dingen schon mal besser ausgekannt zu haben.

“Nee, genau 108”, kommt die prompte Antwort, “und zwar Kilometers pro Stunde. Und du?”

“Och, vielleicht 25 oder so.”

“Schnell ist aber anders”, meint Felix und grinst, “Ich glaube, ich wäre auch ein besserer Gepard als du.” Dann blickt er auf. “Guck mal, die Adler kommen.”

Tatsächlich. Einer nach dem Anderen fliegen die Adler, die ihr Futter bisher aus sicherer Entfernung von umliegenden Bäumen aus beäugt und den Möwen und Krähen den Vortritt gelassen haben, die ausgelegten Hühner an. Große Scheu vor Menschen haben sie dabei nicht; einige fliegen direkt über Felix und Michael hinweg. Gebannt beobachten Felix durch das Fernglas und Michael mit dem Fotoapparat das Treiben.

Nach einer halben Stunde ebbt die Show langsam ab. Felix hat sie auf tolle Gedanken gebracht.

“Du, Papa, wenn wir wieder zurück sind, füttern wir in Rheinbach auch Adler.”

“Ich glaube, so einfach geht das nicht” sagt Michael und schmunzelt dabei.

“Guck doch, das waren höchstens zehn tote Hühner. Die kaufe ich dir von meinem Taschengeld.”

“Das Problem ist nur, in Rheinbach gibt es keine Adler.”

“Wieso fliegen wir denn dann zurück?”

“Immerhin ist in Rheinbach Karneval und in Halifax nicht.”

“Ich will aber bleiben, wo Adler, Elche und Wale sind” sagt Felix, und schaut dann eine ganze Weile lang still mit dem Fernglas den letzten Adlern an der Futterstelle zu. “Ist schon blöd, ohne Adler” sagt er schließlich, stockt dann ein wenig und atmet tief durch, “aber Karneval ... Karneval ist gut.”

Ist schon ein Glücksfall, dass wir in Rheinbach fünf Jahreszeiten haben. Gerade die fünfte macht das Leben leichter.

Bis die Tage dann. Alaaf!

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