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Fallschirmteddys

Michael erzählt ja zu Hause nicht so schrecklich viel von seiner Arbeit an der FH. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps sagt er sich und unterhält sich beim gemeinsamen Abendessen mit den Kindern lieber über deren Erlebnisse aus Schule, Freizeit oder Sportverein als über seine “Erfolge” an der FH. Aber sein jüngstes Projekt, das mit der Luftbildfotografie vom Drachen aus, ist anders; von dem schwärmt Michael gerne.

Wie groß der Drache sei, dass er schon bei ganz wenig Wind fliege, einen ferngesteuerten Fotoapparat trage, dass - man höre und staune - seine Studenten ganz von alleine, aus eigenem Antrieb daran arbeiten, und so weiter und so fort.

“Ob der aber so gut ist wie meiner vom Klassenausflug der 3a, das müssen wir noch sehen”, wirft Felix ein.

“Zumindestens ist er größer.”

“Größer als ich?”

“Ja. Zwei Meter vierzig.”

“Boah. Und den hast du gebaut?”

“Na ja, ... genau genommen meine Studenten.”

“Und wie hoch kann der fliegen?”

“100 Meter. Mehr erlaubt die Flugsicherung nicht.”

“Und wenn von da oben die Kamera runterfällt?”

“Dann ist sie hin.”

“Und wenn die auf wen drauffällt?”

“Dann ist der auch hin ... du stellst aber auch blöde Fragen.”

“Ich mache mir halt Gedanken. Wickel lieber einen Fallschirm um den Fotoapparat. Oder nimm statt der Kamera gleich was Weiches. Ich würde dir meinen Black Jack leihen, der springt gerne Fallschirm.”

Felix meint es ernst. Denn Black Jack, der Kuschelschwarzbär aus Halifax, ist Felix’ Lieblingsteddy, den verleiht er nicht mal einfach so. Und nun kommt auch Franziska, die bisher amüsiert zugehört hat, mit einer guten Idee:

“Du Papa, such doch mal im Internet, wie man Teddyfallschirme baut. Du weißt doch, am besten bei fragfinn.de, weil der nicht auf Schweinekram-Seiten verweist.”

Michael grübelt. Lieber hat er es, wenn ihm gute Ideen selber einfallen. Aber dann setzt er sich doch an den Computer und sucht ein bisschen, wenn auch bei Google statt bei Fragfinn. Er ist ja schließlich kein Kind mehr.

Und er wird fündig. Man kann Teddys tatsächlich von einem Drachen aus Fallschirm springen lassen. Meistens wird dazu eine so genannte Drachenfähre verwendet. Die kann man sich als ein kleines Segelboot vorstellen, das in die Drachenschnur eingehängt und diese vom Wind hoch geblasen wird. Kurz unter dem Drachen prallt sie an einen Anschlag in der Schnur, und dabei wird das Kuscheltier freigegeben, das dann am Fallschirm zu Boden segelt. Da muss man Rohre und Holzscheiben zurecht sägen, Drähte biegen, Stoff für Fallschirm, Fallschirmrucksack und Drachenfähre zuschneiden und vor allem sehr viel nähen.

Die Kinder sind Feuer und Flamme.

“Das machen wir”, meint Katharina. “Mein Teddy Columbus hat mir schon gesagt, dass er als erster springen möchte. Der ist nämlich der mutigste.”

Michael ist zurückhaltender: “Euch ist schon klar, dass das nicht schnell mal nebenbei zu machen ist? Da muss man viel basteln. Sägen und bohren und so.”

“Kann ich alles,” sagt Katharina.

“Und mit der Maschine nähen?”

“Lern’ ich alles. Ach Papa, denk doch auch mal an deine Studenten.”

“Ja wieso?”

“Die wollen bestimmt mal was anderes machen als immer nur Luftbilder. Dann dürfen die den Fallschirm auch benutzen.”

“Darüber werden sie sich sicher freuen.”

“Haben deine Studenten denn eigene Kuscheltiere?”

“Weiß nicht. Ich hab’ mich noch nicht getraut, in der Vorlesung danach zu fragen. Aber noch mal zur Nähmaschine: Ich glaube, das kann eine ganz schön fisselige Arbeit sein.”

“Papa!”, schaltet sich nun Franziska ein, “Mamas Nähmaschine ist klasse. Die ist laut, aus Stahl und hat ein Gaspedal. Die wird dir ganz bestimmt gefallen.”

“Aber das Einfädeln und die Feinmotorik und alles.”

“Lass uns mal machen. Mama kann uns das beibringen.”

Und so schleppt Katharina am Samstagmorgen die Nähmaschine auf den Küchentisch - ächz, aber “gar nicht schwer” - und Mechthild führt die schon sehr gespannte Familie in die hohe Kunst des Nähens ein. Ganz gleich ob Fadenanzugsfeder, Stichlängenknopf, Unterfaden, Spulenkapsel oder Kappnaht - im Hause Heinzelmann kennt man sich jetzt in solchen Dingen aus.

Dann geht’s an die Arbeit: Katharina, die vom Bau des Mobiles für ihre niedlichste, weil erst jüngst geborene Freundin Carolin reichlich Erfahrung im Laubsägen mitbringt, sägt die Anschlagplatte. Außerdem biegt sie Omas alten Drahtkleiderbügel gerade. Der wird das Herzstück der Drachenfähre, denn wenn diese gegen den Anschlag oben in der Drachenschnur schlägt, verschiebt sich der Draht nach hinten, und gibt so Kuscheltier und Fallschirm frei.

Die Rohre für die Führung des Drahtes und zum Aufspannen des Drachenfährensegels sägen Felix und Franziska auf Maß. Das Ausschneiden der Fallschirmsegmente teilen sich alle drei Kinder auf - jeder vier Stück - und nähen darf natürlich auch jeder. Das macht ja auch am meisten Spaß. Zum Verknoten der zwölf Schnüre an den Fallschirm lässt sich Felix den Palstek beibringen, denn als Kanufahrer und Zelter wird er den sowieso immer wieder brauchen. Schnell noch den Rucksack zum Verstauen des Fallschirms nähen, dann ist alles fertig.

Nur gepackt werden muss der Fallschirm noch, und dabei heißt es aufpassen. “Columbus’ Fallschirm darf nur ich packen”, sagt Katharina, “wer weiß, was sonst alles passieren kann.” Da hat sie recht. Und so schnallt sie Columbus den Rucksack auf den Rücken, fädelt die Reißleine durch das obere Loch des Fallschirms und packt den Fallschirm - Schnüre zuerst - sorgsam in den Rucksack. Schließlich muss sie die Reißleine noch vorsichtig durch das Rucksackschloss führen, damit sich der Rucksack auch ja beim Absprung öffnet. Dann ist Columbus sprungbereit.

Am Ostermontag ist es endlich soweit. Ein frischer Wind weht, gerade richtig zum Drachensteigen. Columbus’ großer Tag (sowie Black Jacks, Maus’, Heins und Dal the Tigers großer Tag) ist gekommen. Katharina fädelt “ihren” Anschlag in die Drachenschnur, Mechthild lässt den Drachen steigen und Katharina wetzt los, um Columbus zum Start zu holen. Aber Michael kommt ihr zuvor und hängt schnell einen blauen Sack in die Drachenfähre ein. Katharina protestiert:

“Mann, Papa! Columbus ist doch als erster dran! Nur der ist der mutigste! Und was ist das überhaupt für ein komischer blauer Sack?”

”Den hab’ ich heimlich selbst genäht”, antwortet Michael und hat Glück, dass der Wind die Drachenfähre mit dem ominösen blauen Sack auch schon die Drachenschnur hinauf treibt, bevor Katharina das verhindern könnte. Die Drachenfähre erreicht den Anschlag, der Sack öffnet sich, und eine Ladung kleiner, aus Plastiktüten geschnittener Fallschirme segelt zu Boden. Zwar alle ohne Kuscheltiere, die wären für so kleine Fallschirme auch viel zu schwer, aber dafür mit einer Mini-Toblerone als Nutzlast. Das ist auch ganz süß.

Am Anschlag wird übrigens nicht nur die Nutzlast der Drachenfähre freigegeben, sondern auch die Halteleine des Segels, sodass dieses kollabiert und die Drachenfähre von selbst wieder nach unten gleitet. So dauert es nicht lange, bis auch Columbus - wir ahnen es schon, der tapferste von allen - sowie Black Jack, Maus, Hein und Dal the Tiger ihre Sprünge absolvieren. Erst einen, dann noch einen und dann immer wieder, quasi so weit die Füße tragen. Denn wenn die geliebten Kuscheltiere von so hoch Fallschirm springen, dann muss man rennen, was das Zeug hält, um sie rechtzeitig aufzufangen. Und dann rennt man am besten gleich weiter, um sie zum nächsten Sprung wieder zurück zu bringen. Ein Fallschirmnachmittag für Kuscheltiere ist immer auch ein Sportnachmittag für Kinder.

Zweieinhalb Stunden später. Mechthild und Michael packen den Drachen zusammen, Katharina schaut zu, hält Columbus im Arm und widmet sich den letzten Toblerones.

“Du Mama”, sagt sie, “komm mal, ich muss dir was flüstern.”

“Ja warum denn?”

“Felix darf das nicht hören.”

“Aber gerne.”

“Du”, flüstert sie, “ich bin müde, aber nur ganz, ganz wenig.”

“Du, das bin ich jetzt auch.”

“Magst du Teddy-Fallschirmspringen?”, fragt Katharina dann.

“Ja”, sagt Mechthild, “eure Kuscheltiere sind echt klasse.”

“Aber am besten ist Columbus. Und der will jetzt nach Hause”, sagt Katharina. “Geh’n wir?” Und dann macht sie sich, Columbus ganz fest knuddelnd, auf den Heimweg.

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